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Warum eigentlich geistliche Übungen?

Aktualisiert: 26. Feb. 2022

Die Bibel gibt uns verschiedene Gründe warum wir uns in geistlichen Gewohnheiten üben sollen. Unserer natürlicher, menschlicher Wille ist Gott feindlich gegenüber gestimmt (Röm 8,7) und im “normalen Alltag” werden wir von Natur aus nicht vom Geist bestimmt, sondern - wie es die Bibel nennt - vom Fleisch. Nur wenn wir uns bewusst “vom Geist Gottes bestimmen lassen” ist auch unser Leben auf das ausgerichtet was der Heilige Geist für unser Leben will. (Röm 8,5).

Darum stehen die geistlichen Übungen meistens im Zusammenhang mit der Heiligung. Die Bibel versteht unter einem geheiligten Leben, ein Leben in der Wahrheit (Joh. 17,17) und ein reines Leben (1. Thess. 4,3+7), frei von den “Befleckungen des Fleisches” (2. Kor. 7,1).

Ein weiterer Grund der für geistliche Gewohnheiten spricht, ist, dass wir Christus immer ähnlicher werden sollen: Wir sollen Jesus “imitieren” (1. Kor. 11,1), als seine Schüler Ihm nacheifern (Lk 6,40) und Seinem Beispiel folgen (Joh. 13,15).

Wir sind als Christen nicht nur aufgefordert nach “außen hin” zur Ehre Gottes zu leben, sondern auch “von innen”. In 1 Korinther 6:20 heißt es: „Denn ihr seid teuer erkauft; darum verherrlicht Gott in eurem Leib und in eurem Geist, die Gott gehören!“

Nach Eph 4,11ff sollen geistliche Übungen aber auch dazu führen, dass wir “geistlich Erwachsen werden”. Unser Glaube und unsere Erkenntnis über Gottes Sohn soll uns reifen lassen “nach dem Maßstab Christi”, damit wir keine “unmündigen Kinder” mehr sind, die sich von “jeder beliebigen Lehre vom Kurs abringen lassen” oder auf “die Betrügereien von Menschen hineinfallen”.


Stetige Übung/Disziplin ohne (konkrete) Richtung ist Plackerei.

Donald S. Whitney erklärt es in seinem Buch so gut, dass wir nicht umhinkommen ihn (fast) am Stück zu zitieren:

„Stellt euch den sechsjährigen Kevin vor, dessen Eltern ihn zum Musikunterricht angemeldet haben. Jeden Nachmittag nach der Schule schleicht er auf Anweisung seiner Mutter ins Wohnzimmer und klimpert Lieder, die er üben muss, aber nicht mag, während er seinen Kumpels beim Baseballspielen im Park gegenüber zusieht. Das ist Disziplin ohne Richtung. Das ist Plackerei.

Nehmen wir nun an, Kevin wird eines Nachmittags während des Gitarrenunterrichts von einem Engel besucht. In einer Vision wird er in die Carnegie Hall versetzt. Man zeigt ihm einen Gitarrenvirtuosen, der ein Konzert gibt. Normalerweise ist Kevin von klassischer Musik gelangweilt, aber er ist erstaunt über das, was er sieht und hört. Die Finger des Musikers tanzen mit Leichtigkeit und Anmut über die Saiten. Kevin denkt daran, wie dumm und klobig sich seine eigenen Hände anfühlen, wenn sie bei den Akkorden stocken und schwanken. Der Virtuose mischt saubere, aufsteigende Noten in ein musikalisches Aroma, das von seiner Gitarre ausgeht. Kevin erinnert sich an den tonlosen, irritierenden Missklang, der aus seiner stolpert. Aber Kevin ist verzaubert. Sein Kopf neigt sich zu einer Seite, während er zuhört. Er saugt alles in sich auf. Er hätte sich nie vorstellen können, dass jemand so gut Gitarre spielen kann. "Was denkst du, Kevin?", fragt der Engel. Die Antwort ist ein leises, langsames „W-o-w!“ eines sechsjährigen. Die Vision endet, und der Engel steht wieder vor Kevin in seinem Wohnzimmer.

"Kevin", sagt der Engel, "der wunderbare Musiker, den du gesehen hast, bist du in ein paar Jahren." Dann deutet der Engel auf die Gitarre und erklärt: "Aber du musst üben!" Plötzlich verschwindet der Engel und Kevin ist allein mit seiner Gitarre. Glaubt ihr, dass seine Einstellung zum Üben jetzt anders sein wird? Solange er sich daran erinnert, was er werden will, wird Kevins Disziplin eine Richtung haben, ein Ziel, das ihn in die Zukunft zieht. Ja, er wird sich anstrengen müssen, aber man kann es kaum als Plackerei bezeichnen.

Wenn es um Disziplin im christlichen Leben geht, fühlen sich viele Gläubige so wie Kevin, wenn es um’s Gitarrenübungen geht - es ist Disziplin ohne Richtung. Das Gebet droht zur Plackerei zu werden. Der praktische Wert der Meditation/des Nachdenkens über die Heilige Schrift scheint ungewiss. Der wahre Zweck einer Disziplin wie dem Fasten ist oft ein Rätsel.

Zunächst müssen wir verstehen, was wir werden sollen. Die Bibel sagt über Gottes Auserwählte: “Denn die er vorherbestimmt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie dem Bild Gottes gleichgestaltet werden.“


Wahrscheinlich kennt ihr aus eigener Beobachtung Sportler, Musiker oder Schüler, die ein enormes Potenzial hatten, aber dieses gottgegebenen Potenzial nicht ausschöpften, weil sie es nicht hinbekamen, sich dazu zu disziplinieren zu üben. Etwas Ähnliches kann im geistlichen Bereich mit Christen geschehen. (...) (A)lle Gläubigen haben geistliche Gaben erhalten (siehe 1. Korinther 12,4-7). Das bloße Vorhandensein geistlicher Gaben garantiert jedoch nicht mehr geistliche Fruchtbarkeit, als (eine geniale geistige Begabung) die Produktion von Büchern und Gedichten garantiert. Ebenso wie sportliche, musikalische oder intellektuelle Gaben müssen auch geistliche Gaben durch Disziplin entwickelt werden, um geistliche Frucht zu bringen. Die Gefahr, die geistlichen Disziplinen zu vernachlässigen, ist also die Gefahr, wenig geistliche Frucht zu bringen - ein Leben, das (letztendlich) für das Reich Gottes wenig Bedeutung hat.


Es gibt Freiheit, wenn man sich auf die geistlichen Disziplinen einlässt.

Viele hören den Begriff "geistliche Disziplinen" und denken an Knechtschaft und Last - Dinge, die sie tun müssen, nicht an Freiheit. Dennoch gibt es eine Freiheit im christlichen Leben, die nicht durch Trägheit, sondern durch Disziplin entsteht. Wir können dieses Prinzip veranschaulichen, indem wir die Freiheit beobachten, die sich aus der Beherrschung einer beliebigen Disziplin ergibt.

Wenn man zum Beispiel einem vollendeten Gitarrenspieler beim Zupfen und Anschlagen der sechs Saiten zusieht, hat man fast den Eindruck, dass er mit dem Instrument am Körper geboren wurde. Er hat eine Vertrautheit und Freiheit mit der Gitarre, die das Spielen leicht erscheinen lassen. Jeder, der schon einmal versucht hat, Gitarre zu spielen, weiß, dass eine solche musikalische Freiheit und ein solches Flair nur durch jahrzehntelanges, diszipliniertes Üben erreicht werden kann.

Freiheit durch Disziplin findet man nicht nur bei guten Musikern, sondern auch bei Supersportlern, erfahrenen Schreinern, erfolgreichen Führungskräften, geschickten Handwerkern, exzellenten Studenten und Müttern, die täglich Haus und Familie gut managen. Freiheit durch Disziplin ist die Idee, die hinter der so genannten "Zehntausend-Stunden-Regel" steht.

Dabei handelt es sich um eine Beobachtung, die auf Forschungsergebnissen beruht, die besagen, dass man eine Tätigkeit - wie z. B. das Gitarrenspiel - mindestens zehntausend Stunden lang ausüben muss, um ein Experte in einer Sache zu werden, damit sie zur zweiten Natur wird. Dabei geht es nicht nur darum, eine identische Aufgabe - wie das Spielen desselben Liedes - zehn Jahre lang vier Stunden pro Tag, fünf Tage pro Woche und fünfzig Wochen pro Jahr zu wiederholen, sondern es muss auch eine bewusste, kontinuierliche Anstrengung (gewöhnlich unter Anleitung eines anderen) unternommen werden, um die Gesamtleistung zu verbessern. Im Falle eines Musikers würde also eine Vielzahl von Liedern, Stilen und Übungen so konsequent und mit zunehmender Komplexität geprobt werden, dass eine sich ständig weiterentwickelnde Freiheit im Umgang mit dem Instrument entsteht. In gewissem Sinne könnten wir Disziplin als den „Preis" bezeichnen, den wir für Freiheit zahlen müssen. Elisabeth Elliot bringt es jedoch noch besser auf den Punkt, wenn sie erklärt, dass "Freiheit und Disziplin als sich gegenseitig ausschließende Faktoren betrachtet werden, obwohl die Freiheit keineswegs das Gegenteil, sondern die endgültige Belohnung der Disziplin ist". Während wir also betonen, dass Freiheit Disziplin erfordert, sollten wir nicht vergessen zu betonen, dass Disziplin uns mit Freiheit belohnt.


Was ist diese Freiheit der Gottesfurcht (Godliness)?

Denkt noch einmal an unsere Veranschaulichungen. Ein Gitarrenvirtuose ist zum Beispiel "frei", ein schwieriges Arrangement von Segovia zu spielen, während ich es nicht bin. Und warum? Weil er jahrelang diszipliniert geübt hat. In ähnlicher Weise sind diejenigen, die "frei" sind, die Schrift zu zitieren, diejenigen, die sich diszipliniert haben, das Wort Gottes auswendig zu lernen. Wir würden ein gewisses Maß an Freiheit von geistlicher Trägheit erfahren, wenn wir uns in der Disziplin des Fastens üben. Oder wir können eine gewisse Befreiung von der Selbstbezogenheit spüren, wenn wir uns in Disziplinen wie Anbetung, Dienen und Evangelisation üben.

Die Freiheit der Gottesfurcht ist die Freiheit, das zu tun, wozu Gott uns durch die Heilige Schrift auffordert, und die Freiheit, dass die Charaktereigenschaften Christi in unserer eigenen Persönlichkeit zum Ausdruck kommen.

Diese Art von Freiheit ist die "Belohnung" oder das Ergebnis des Segens Gottes für unser Engagement in den geistlichen Disziplinen. Aber wir müssen bedenken, dass sich die reifen Freiheiten der disziplinierten Frömmigkeit nicht in einer einzigen Bibellektüre oder in ein paar Streifzügen durch einige der anderen Disziplinen entwickeln. Die Schrift erinnert uns daran, dass Selbstbeherrschung, wie sie in den geistlichen Disziplinen zum Ausdruck kommt, beharrlich sein muss, bevor sie zur reifen Frucht der Gottesfurcht heranreift. Achtet genau auf die Reihenfolge der Entwicklung in 2 Petrus 1,6 - „in der Erkenntnis aber die Selbstbeherrschung, in der Selbstbeherrschung aber die Beharrlichkeit (Ausdauer), in der Beharrlichkeit aber Ehrfurcht vor Gott“. Die Brücke zwischen geisterfüllter Selbstbeherrschung und Ehrfurcht vor Gott ist die Beharrlichkeit. Gelegentliche Selbstbeherrschung führt zu gelegentlicher Ehrfurcht vor Gott. Aber Selbstbeherrschung mit Beharrlichkeit führt zu einer beständigeren Christusähnlichkeit. Wahre Gottesfurcht erfordert nicht nur ein zehntausendstündiges Streben, sondern ein lebenslanges Ausharren.


Freude an Gottes Dingen

Es gibt eine Einladung an alle Christen, sich durch die geistlichen Disziplinen an Gott und den Dingen Gottes zu erfreuen. Alle, in denen der Geist Gottes wohnt, sind eingeladen, die Freude eines auf Christus ausgerichteten, auf dem Evangelium basierenden Lebensstils mit geistlichen Disziplinen zu genießen. Erinnern ihr euch an Kevin und seine Gitarre? Die Plackerei seines täglichen Übens bekam einen völlig neuen Geist, als er erkannte, dass er eines Tages vor einem vollen Haus in der Carnegie Hall spielen würde. Die Disziplin des Übens wurde allmählich zum Mittel für eines der größten Vergnügen seines Lebens. Jede Disziplin - vom Üben auf der Gitarre bis hin zum Auswendiglernen der Bibel - ist ohne konkrete Richtung eine Plackerei. Aber die geistlichen Disziplinen sind niemals Plackerei, solange wir sie mit dem Ziel der Gottseligkeit (d. h. der Nähe zu und der Übereinstimmung mit Christus) vor Augen üben. Wenn euer Bild von einem disziplinierten Christen das eines grimmigen, wortkargen, freudlosen Halbroboters ist, dann habt ihr den entscheidenden Punkt missverstanden. Jesus selbst war der disziplinierteste Mensch, der je gelebt hat, und doch der fröhlichste und lebendigste. Obwohl er mehr als unser Vorbild ist, ist er doch unser Beispiel für Disziplin. Folgen wir ihm zur Freude durch die geistlichen Disziplinen. Konzentriert euch auf die Person und das Werk Jesu in jeder der Disziplinen. Lernt durch sie, wer Jesus ist und was er getan hat, betrachtet ihn und freut euch an Ihm. Lasst euch mit Hilfe der Disziplinen die Wahrheiten des Evangeliums in eurer Seele wiederherstellen. Lasst euch auf die geistlichen Disziplinen ein, die Gott in der Heiligen Schrift gegeben hat, damit euch immer wieder gezeigt wird, dass ihr Christus braucht und dass ihr durch den Glauben an Jesus Christus unendlich viel Gnade und Barmherzigkeit findet.“


Ihr seht: Die geistlichen Übungen/Disziplinen wollen uns keine neue Gesetzlichkeit auferlegen, sondern die Gelegenheit schaffen, den verheißenen Segen Gottes in unserem Leben in vollem Maße zu erfahren.


Charles Haddon Spurgeon hat es in “Morgen und Abend” gut anhand eines Bildes erklärt:

"Die Pilger graben den Brunnen, aber seltsamerweise füllt er sich von oben statt von unten. Wir benutzen die Mittel, aber der Segen kommt nicht von den Mitteln. Wir graben einen Brunnen, aber der Himmel füllt ihn mit Regen. Das Pferd ist für den Tag der Schlacht gerüstet, aber die Sicherheit kommt vom Herrn. Die Mittel sind mit dem Ziel verbunden, aber sie bringen es nicht von selbst hervor. Seht hier, der Regen füllt die Teiche, so dass die Brunnen als Wasserreservoirs nützlich werden; die Arbeit geht nicht verloren, aber sie ersetzt dennoch nicht die göttliche Hilfe.“

Nächsten Sonntag geht es weiter mit der ersten geistlichen Übung: Die Aufnahme von Gottes Wort.



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